Gedanken an Idefix

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Idefix – Meine kleine taube Nuss

Im Dezember 2000 bekam ich einen Notruf. Eine Hündin mit 5 Welpen saß in einem Asylantenheim und musste dringend untergebracht werden. Die kleine Hundefamilie zog am 03.01.01 bei mir ein, die Welpen waren gerade 6 Tage alt. Die Besitzer, russische Emigranten, wollten die Mutter nach der Entwöhnung der Welpen wieder zu sich nehmen. Für die Welpen sollte ein neues Zuhause gefunden werden.

Die Hündin war ein Malteser/Bologneser Mischling, namens Dina und ließ niemanden von uns an sich oder ihre Welpen heran. Die Hundefamilie habe ich in meinem Badezimmer untergebracht, da dies der wärmste und ruhigste Raum war. Als ich eines nachts auf die Toilette wollte, hat Dina mich zwar rein, aber nicht wieder raus gelassen. Immerhin war ich barfuß. Daraufhin blieb mir nichts anderes übrig als nur in Unterhose und Shirt bekleidet, barfuß aus dem Fenster zu springen…..es war sehr kalt zu dieser Jahreszeit.

Ab diesem Tag zog sich jeder, der auf die Toilette oder duschen wollte, erst mal Gummistiefel an, um sich beim Verlassen des Badezimmers vor Dinas Bissen in Füße und Waden zu schützen. Man konnte der Hündin ihr Verhalten auch nicht übel, immerhin hatte sie Welpen und alles hier war fremd.

Nach ca. zwei Wochen hatte sie endlich vertrauen gefasst und duldete meine Nähe und den Körperkontakt, auch zu den Welpen.
Alles verlief gut, die Kleinen waren gesund und munter, hatten zu Fremden jedoch, wie ihre Mutter, ein eher gestörtes Verhältnis. Ich lud immer wieder fremde Personen ein, die ihnen unbekannt waren, um die Beziehung zu den Menschen zu verbessern. Doch leider änderte sich ihr Verhalten nicht. Sie kläfften weiterhin jeden Fremden an und ließen sich nur anfassen, wenn dieser auf dem Boden saß und mindestens 20 Minuten mit ihnen sprach. Auch Leckerchen halfen nicht.

Einen der Kleinen taufte ich Idefix. Meine Freundin Anne sagte anfangs immer liebevoll „Kleiner Eisbär“ zu ihm, weil er schneeweiß ist. Heute nennt sie ihn verschmitz „taubes Nüsschen“. Als die Kleinen ca. sechs Wochen alt waren, fiel mir auf, daß Idefix meistens alles, was passierte „verschlief“. Wenn es richtig hektisch und laut wurde, schlummerte der Kleine seelenruhig vor sich hin.

Ich befürchtete schon, daß irgendetwas nicht mit ihm stimmte. Daraufhin beschloß ich ein paar Tests zu machen. Als er wieder einmal so richtig schön tief und fest schlief, ließ ich ein Messer auf die Fliesen in der Nähe seines Körbchens fallen. Alle schreckten auf… nur Idefix nicht. Ich ließ alle anderen Hunde hinaus, nahm einen Kochtopf und ließ diesen ebenfalls fallen. Es schepperte heftig, doch Idefix schlief friedlich weiter. Nun wußte ich es, er war stocktaub.

Glücklich war ich über meine Entdeckung nicht gerade, da es die Vermittlung bestimmt nicht einfacher machte. Für mich war klar, dass Idefix nur zusammen mit einem seiner Geschwister vermittelt werden sollte. Ich annoncierte ihn überall, sogar beim WDR, in „Tiere suchen ein Zuhause“. Doch es meldeten sich nur wenige Interessenten und diese waren meistens mehr als seltsam. Viele dieser Menschen meinten, dass er irgendwann doch wieder hören könnte, er müsse nur zum Tierarzt. Ich überlegte mir, was für Idefix wichtig sein könnte.

Kein Mensch kam auf die Idee, dass Idefix taub sein könnte. Er bellte, wenn alle bellten, er legte den Kopf schief, wenn die anderen Hunde voller Erwartung vor der Tür standen, sobald sie etwas hörten. Ich hatte von Hundeschulen für taube Hunde gehört, doch die gabt es nicht in unserer Gegend. Also überlegte ich, was für ihn wichtig sein könnte. Ich nahm ihn jeden Abend mit ins Bett und legte seinen Kopf in meine Hand, damit er meine Nähe spürte. Ich nahm ihn, wenn ich auf dem Sofa saß, immer auf meinen Schoß und redete mit ihm oder sang ihm etwas vor.

Ich bin der Meinung, dass taube Hunde die Vibrationen der menschlichen Stimme wahrnehmen können. Er sollte mich und meine Stimmungen kennenlernen. Der enge Körperkontakt schien mir deshalb auch sehr wichtig. Als er 13 Wochen alt war, waren alle seine Geschwister, bis auf seinen Bruder Piwi- Piccolino, schon in ihr neues Zuhause vermittelt. Seine Mutter war ebenfalls schon wieder zu Hause. Die beiden Kleinen waren ein eingespieltes Team. Der eine hörte für den anderen mit. Sie spielten und tobten so wunderbar miteinander. Alle hier im Haus lebenden Hunde waren ihre neue Familie. Besonders ihr „Tante Flöckchen“, eine 1994 geboren Kleinspitzhündin und ihr alter „Opa Johann“, ein 1988 geborener Bernhardiner Mischling (gestorben 12/2002 ).

Im Mai 2001 starb plötzlich und unerwartet mein allerliebster Sam, die Hundeliebe meines Lebens. Die zwei Welpen waren immer noch ohne ernsthafte Interessenten, so entschloss ich mich, die beiden zu behalten. Ich hoffte, mit einer neuen Aufgabe meine Trauer und den Schmerz zu überwinden. Außerdem waren die beiden wirklich zum anbeißen süß. Ich fing an, Idefix ein paar wenige Handzeichen beizubringen. Er begriff zu meinem Erstaunen sehr schnell.

Wenn er kommen sollte, wedelte ich mit meiner Hand hin und her, so als würde ich mit der Rute wedeln. Der Finger nach oben bedeutete „Sitz“, den Finger von oben nach unten hieß „laß das“ (wenn er gerade wieder Blödsinn machte oder auf dem Tisch herum sprang). Durch den frühzeitigen, sehr engen Körperkontakt hat er gelernt, zu mir zu kommen, wenn er unsicher war oder Angst hatte. Beim Spazieren gehen hielt er immer Blickkontakt. Ich konnte ihn und seinen Bruder problemlos ohne Leine laufen lassen, natürlich niemals an einer Verkehrsstrasse.

Für Idefix ist sein Bruder als Orientierung sehr wichtig Ich denke, es war eine gute Entscheidung die beiden nicht getrennt zu haben. Die Stubenreinheit war anfänglich ein Problem. Es dauerte sehr lange, bis Idefix begriff, dass er nicht in die Wohnung pinkeln sollte. Allerdings hat er auch heute noch die Angewohnheit, nach dem Fressen irgendeinen Gegenstand anpinkeln zu wollen. Deshalb kommt er anschließend sofort raus.

Trotz seiner Behinderung ist Idefix ein fröhlicher, sehr aufgeweckter, frecher kleiner Hund mit einer guten Portion Selbstvertrauen. Er zeigt keinerlei Verhaltensstörungen. Fremden Menschen gegenüber  ist er immer noch sehr mißtrauisch, aber das sind seine „hörenden“ Geschwister auch. Oft vergesse ich, dass er taub ist. Wenn er z.B. ein Stück Fleisch von meinem Teller klaut, wenn ich kurz den Raum verlasse, und er gemütlich mit einem Steak in der Schnauze durch das Wohnzimmer spaziert. Dann schimpfe ich wie ein Rohrspatz, muss dann aber doch über mich selbst lachen – er hört ja nichts.

Wenn er schmusen will, legt er immer noch seinen Kopf in meine Hand und schläft dann irgendwann ein. Manchmal denke ich, es ist schade, dass Idefix in einer vollkommenen Stille leben muß. Andererseits kennt er es nicht anders. Das hat natürlich auch seine Vorteile. Jeglicher Lärm, wie Silvester, Staubsaugergeräusche, Gewitter etc. können ihn nicht aus der Ruhe bringen. Idefix beste große Freundin war unsere alte blinde Hündin Asti, aber seine absoluter Lebensinhalt sind sein Bruder Piwi , sein Tante Flöckchen und meine Freundin Anne. Wenn Anne mich alle 14 Tage für ein Wochenende besucht, bin ich komplett abgemeldet.

 

Alles in allem, ist ein tauber Hund wie Idefix, nicht kostspieliger, zeitaufwendiger oder anstrengender als ein hörender Hund. Es ist nur etwas anders. Ich bin bei Idefix aufmerksamer als bei meinen anderen Hunden und beobachte meine Umwelt genauer und vorausschauender, um Unfälle zu vermeiden. Zumindest scheinen seine Artgenossen und er selbst sehr gut damit zurechtzukommen.

Mit der Körpersprache seiner Artgenossen hat Idefix keine Probleme, was natürlich auch auf seine gute Sozialisierung zurückzuführen ist. Er braucht lediglich etwas länger, bis er mit fremden Hunden entspannt umgehen kann.

Sein Bruder Piwi jedoch ist ganz genauso. Überhaupt ähneln sich die beiden sehr. Das liegt aber auch daran, dass Idefix sich auch im Sozialverhalten sehr stark an Piwi orientiert und diesem offenbar absolut vertraut. Wenn sein Bruder einen Artgenossen nicht mag und diesen angreift, tut Idefix das auch, ohne vorher einen eigenen Kontakt aufgenommen zu haben. Piwis Feind ist eben auch der Rivale von Idefix. Reagiert Piwi dagegen freundlich auf einen Artgenossen, ist auch Idefix verträglich. Es sieht fast so aus, als ob Idefix erst abwartet, was sein hörender Bruder macht und sich dann dessen Verhalten anpasst.

Natalie Reineke Januar 2007